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Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. I ZR 98/15)
Pflicht zur Mediation durch Rechtschutzversicherung
Rechtsschutzversicherungen erfreuen sich in Deutschland immer größerer Beliebtheit. Kein Wunder: Die Anzahl der rechtlichen Streitigkeiten ist innerhalb der letzten Jahre und Jahrzehnte stetig gewachsen. Noch nie gab es so viele Gerichtsverfahren wie heute.
Da ein solches Verfahren schnell sehr teuer werden kann, hat sich mittlerweile ein Großteil aller Deutschen durch eine Rechtsschutzversicherung abgesichert. Diese existiert in verschiedenen Formen, zum Beispiel als Privatrechtsschutz, Verkehrsrechtsschutz oder spezieller Rechtsschutzversicherung für verschiedene Branchen und Berufe.
Die Vielzahl der gerichtlichen Auseinandersetzungen bringt allerdings auch den Umstand mit sich, dass die Rechtsschutzversicherungen immer mehr leisten müssen und dadurch teilweise sogar in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Daher werden in letzter Zeit die sogenannten Mediationsverfahren vielfach gefördert bzw. in den Vordergrund gerückt.
Die Mediation als Vorstufe vor dem Gericht
Hierbei handelt es sich um die Möglichkeit einer außergerichtlichen Einigung, bei der ein Mediator – eine Art Streitschlichter – zwischen den Streitparteien zu vermitteln versucht. Ziel eines solchen Verfahrens ist also, den Streit bereits vor dem Anrufen eines Gerichtsverfahrens beizulegen und für die Zufriedenheit beider Streitparteien zu sorgen.
Den Rechtsschutzversicherungen kann dieser Trend nur recht sein. Schließlich sorgt jedes erfolgreiche Mediationsverfahren dafür, dass die Kosten für das bestellen eines Anwalts und eventuell die Durchführung eines Gerichtsprozesses eingespart werden können.
Kein Wunder also, dass viele Rechtsschutzversicherungen inzwischen aktiv in diesem Bereich mitmischen und eigene Mediationsverfahren anbieten.
In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings die Frage: Darf die Kostenübernahme durch eine Rechtsschutzversicherung für das Beauftragen eines Rechtsanwaltes und ein eventuell folgender Gerichtsprozess davon abhängig gemacht werden, dass der Versicherte zunächst an einem Mediationsverfahren teilnimmt? Mit dieser schwierigen Frage hatte sich in letzter Instanz der Bundesgerichtshof zu beschäftigen. Zu Grunde lag ein konkreter Sachverhalt, der sich wie folgt gestaltet:
Kann eine Mediation zur Pflicht gemacht werden?
Eine Rechtsschutzversicherung hatte in ihren Versicherungsbedingungen eine Klausel verankert, die eine Kostenübernahme für die gerichtliche Vertretung des Versicherten davon abhängig machte, dass zuvor ein Mediationsverfahren erfolglos durchgeführt werden muss. Konkret bedeutet das: Der Versicherte kann nur dann auf die Leistungen seiner Rechtsschutzversicherung vertrauen, wenn er sich gleichzeitig dazu bereit erklärt, an einem solchen Mediationsverfahren teilzunehmen.
Doch nicht nur das: Ebenfalls in den Vertragsbedingungen sah die Rechtsschutzversicherung vor, den entsprechenden Mediator für das Verfahren selbst auszuwählen. Der Versicherte konnte also keinen Einfluss darauf nehmen, wer ihm als Moderator im entsprechenden Mediationsverfahren vorgesetzt wurde.
Diese Vertragsbedingungen gefielen einer Rechtsanwaltskammer gar nicht. Hier hielt man die entsprechenden Bestimmungen für unzulässig und klagte daher auf Unterlassung. Laut Meinung der Anwaltskammer verstoßen die entsprechenden Bedingungen im Vertrag für die Rechtsschutzversicherung gegen das Recht auf eine freie Anwaltswahl, welches in § 127 VVG verankert ist. Dies machte der Rechtsvertreter der Anwaltskammer auch vor Gericht deutlich.
Anwaltskammer klagt gegen Vertragsklausel über Mediationspflicht
Der Fall wurde zunächst vor dem zuständigen Landgericht verhandelt. Hier präzisierte die Anwaltskammer nochmals ihre Ansichten. Die Aufgabe einer Rechtsschutzversicherung sei grundsätzlich, die Interessen des Versicherungsnehmers zu wahren und zu vertreten. Durch die von der Versicherung initiierte und gesteuerte Mediation könne dieser Umstand nicht als gegeben angesehen werden.
Zur Wahrung der rechtlichen Interessen der Versicherten sei es notwendig, sich wahlweise außergerichtlich oder auch gerichtlich von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen. Die Kosten dafür müsse die Rechtsschutzversicherung übernehmen. Durch die kritisierte Regelung werde dieser Grundsatz ad absurdum geführt.
Im ersten Verfahren vor dem zuständigen Landgericht gab man den Ausführungen der Rechtsanwaltskammer statt und verurteilte die Versicherung zur Unterlassung. Diese wiederum ging in Berufung, worin der Fall vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main neu verhandelt wurde.
Das OLG wiederum verneinte den Unterlassungsanspruch der Rechtsanwaltskammer. Laut Meinung des Gerichts habe hier kein Verstoß gegen das Recht auf die freie Anwaltswahl vorgelegen. Dagegen wiederum ging die Rechtsanwaltskammer vor. Da der Revisionsantrag vom Oberlandesgericht nicht zugelassen wurde, erhob man in der Folge eine Nichtzulassungsbeschwerde.
BGH gibt der Versicherung Recht
Diese wurde schließlich vom Bundesgerichtshof zurückgewiesen. Auch hier kamen die Richter zu der Ansicht, dass kein Verstoß gegen das Recht eine freie Anwaltswahl vorliege. Dabei stellt der BGH grundsätzlich fest:
Durch die nach § 125 VVG bestehende Vertragsfreiheit sei auch die Möglichkeit gedeckt, die Gewährung eines Rechtsschutzes von der vorherigen erfolglosen Durchführung eines Verfahrens zur Mediation abhängig zu machen.
Es bleibe grundsätzlich der Rechtsschutzversicherung selbst überlassen, einen Rechtsschutz allein für die Vertretung im Gerichts- und Verwaltungsverfahren zu gewähren und diesen wiederum in Abhängigkeit des Mediationsverfahrens zu gewähren.
Im weiteren Verlauf der Verhandlung wandte der Rechtsvertreter der Anwaltskammer ein, die beanstandete Klausel verstoße gegen das Prinzip der Freiwilligkeit zur Teilnahme an einem Mediationsverfahren.
Hier war der BGH anderer Meinung. Laut Meinung der Richter stimme der Versicherungsnehmer bereits bei Vertragsabschluss der Durchführung eines Mediationsverfahrens im Versicherungsfall zu.
Diese freiwillig eingegangene Selbstbindung widerspräche grundsätzlich nicht dem Prinzip der Freiwilligkeit. Es steht dem Versicherungsnehmer frei, gemäß der Allgemeinen Versicherungsbedingungen einen von der Versicherung bestimmten Mediator bzw. das Mediationsverfahren insgesamt abzulehnen.
Anwaltskammer handelt wohl nicht selbstlos
Schaut man sich die Interessen der Anwaltskammer, die in den hier beschriebenen Fall als Kläger auftritt, einmal etwas näher an, so wird einiges klar. Natürlich muss diese darauf pochen, stets einen Anwalt zu beauftragen, schließlich vertritt sie die Interessen aller ihr angeschlossenen Rechtsanwälte.
Die Pflicht zur vorherigen Durchführung eines Mediationsverfahrens bedeutet für die Anwaltskammer und ihre angeschlossenen Rechtsanwälte also: Sie werden zwangsläufig Kunden verlieren – nämlich jene, die sich im entsprechenden Mediationsverfahren mit ihrer Gegenpartei einigen und somit keinen Anwalt mehr für eine gerichtliche Auseinandersetzung bzw. Klärung der Angelegenheit benötigen.
Für den Verbraucher, der als Kunde eine solche Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hat, ergibt sich aus der beschriebenen Regelung auf den ersten Blick kein Nachteil. Entweder er einigt sich im Mediationsverfahren mit seiner Gegenseite und es wird eine für alle zufrieden stellende Lösung gefunden, oder es kommt nicht zu dieser Lösung und der Fall wird anschließend vor Gericht geklärt.
Im letztgenannten Fall übernimmt die Versicherung die entstehenden Kosten, und auch für das Mediationsverfahren muss der Versicherte keine Extrazahlungen leisten. Und den Gerichten in Deutschland käme es sicher auch nicht ungelegen, auf längere Sicht etwas weniger Arbeit zu haben.